Brauchen Großstädter eigentlich Natur?

Und wenn ja: Wie viel davon ist möglich, oder gar zuzumuten? Oder reicht es, Natur, wenn überhaupt, via eines Super-Handys, eines Computers oder eines HD-TV-Bildschirmes serviert zu bekommen?  Überlegungen des neuen ÖNB-Wien-Präsidenten Dr. Peter Weish zum Naturschutz im urbanen Bereich.

Jeder Mensch braucht Natur. Viele  allerdings, ohne es zu wissen. Neue Untersuchungen zeigen in aller Deutlichkeit, dass Naturerleben die Gesundheit fördert. So ist erwiesen, dass schon der Anblick von Bäumen durch ein Spitalfenster den Heilungsprozess fördert. Das haben die Planer des Spitals auf der Baumgartner Höhe in Wien offenbar schon ohne wissenschaftliche Vergleichsstudien gewusst. Man kann umgekehrt auch den Schluss ziehen, dass Leben in einer reinen Technozivilisation krank macht.

Ich selbst bin in einem Wiener Außenbezirk in einem verwilderten Garten aufgewachsen und der nahe gelegene, damals in der Kriegs- und Nachkriegszeit ebenfalls verwilderte Türkenschanzpark war unser Abenteuerspielplatz. Es gab dort reichlich Braun- und Laubfrösche, Kröten, Zauneidechsen und vieles mehr. Viele Grundstücke waren damals unverbaute „Gstetten“, die eine Fülle von Aktivitäten boten und der Kreativität der Kinder und Jugendlichen breite Entfaltung ermöglichten.

Das hat sich dramatisch verändert und deshalb betreut die „Studiengruppe Ökologie“, die ich mitbegründet habe, den „Lehrteich“ im Türkenschanzpark, wo früher ein Kinderfreibad war. Dort bringt der Zoologe Gerhard Desbalmes  Lehrer und Schüler in hautnahen Kontakt mit vielen Tieren, die schon selten geworden sind und versteht es, Naturverständnis zu begründen und zu vertiefen.

Peter Weish © önb Archiv

Konrad Lorenz hat wiederholt von einem „Verein zur Herstellung und Aufrechterhaltung halbwilder Zustände“ geschwärmt,  weil er gesehen hat, dass der schlimmste Feind der Natur im Perfektionismus liegt. Weil er sogar dem unschuldigen Gänseblümchen im Einheitsrasen den „chemischen Krieg“ erklärt. In meinem kleinen Garten gibt es seit 30 Jahren eine stabile Population von Erdkröten und als Besonderheit eine Dachsfamilie, die bei mir Zuflucht gefunden hat, als sei einem großen Bauvorhaben weichen musste. Auch der Waldmaus geht es in meinem Garten gut. Ich kenne sie schon seit meiner Kindheit.

Moderne Stadtmenschen verbringen 80 bis 90 Prozent ihrer Zeit in geschlossenen Räumen wie Gebäuden oder Verkehrsmitteln Soll eine positive Einstellung zur Natur und der Wille, sie zu schützen, erreicht werden, dann muss Natur in den Städten vorhanden sein. Allerdings nicht als umzäuntes Gebilde, sondern als Platz für alle. Natur erleichtert  es den Menschen, wieder Kontakt zu ihren eigenen Gefühlen aufzunehmen.

Ein großes Anliegen ist für mich das Bemühen, junge Menschen nicht nur für den Computer, sondern auch für die lebendige Natur zu interessieren. Und in ihrem Bewusstsein die Tatsache zu verankern, dass jede Handlung, die eine Verletzung der Natur vermeidet, sinnvoll ist. Naturschutz kann auch vor der Haustür in der Großstadt durchaus spannend sein, und es gibt viele wertvolle Restflächen, die den Blick und das Verständnis für die Natur schulen können. Denn in manchen Grätzeln  blüht der Charme der Wildnis schon ein paar Schritte vor der Haustür. Die Natur lässt sich nicht unterkriegen, wie sich am Beispiel der sogenannten „G’stetten“ unschwer nachweisen lässt.

© Peter Weish

Die Bundeshauptstadt Wien ist dafür ein gutes Beispiel. Denn rund 200 kmoder knapp 50 Prozent des Stadtgebietes sind Wiesen, Buschland und Wälder. Die Vegetationslosigkeit der Innenstadt wird durch die Alleen – allein an der Ringstraße gibt es rund 2500 Bäume – und die angrenzenden Parks gemildert. Insgesamt beträgt die Summe aller Grünflächen selbst im „steinernen Herzen“ der Stadt mit 318 Hektar rund ein Sechstel der Gesamtfläche. Jedem Bewohner der Innenbezirke stehen damit statistisch gesehen mehr als zehn  Quadratmeter Grünfläche zur Verfügung. Und diese Grünflächen werden, wie uns die Wissenschaft bestätigt, von 74 Säugetierarten (ohne Heimtiere) bewohnt, das sind zwei Drittel aller heimischen Säugetierarten! Die wenigsten wissen es: Aber in Wien leben – weil nachaktiv nur selten beobachtet – rund 4000 Füchse und 200 Dachse. Dazu kommen Steinmarder, Feldhamster, Biber und an den Stadträndern Wildschweine, Rehe, Ziesel sowie in den Donau-Auen und im Wienerwald Rotwild.